Rechte vor der Verteilung des Erbes
Es gibt Ansprüche Dritter, die sich auf das Vermögen des Verstorbenen beziehen. Diese Ansprüche müssen von den Hinterbliebenen erfüllt werden, bevor mit der Verteilung des Erbes begonnen wird. Sie werden in folgender Reihenfolge erledigt:
- Die Bestattung des Verstorbenen ist das erste rechtliche Erfordernis, das aus dem Nachlass zu erledigen ist. Es muss ausreichend Geld bereitgestellt werden, um den Leichnam angemessen zu beerdigen und die Bestattungsriten durchzuführen, ohne dabei extravagante Ausgaben zu tätigen. Dies dient dem Ziel, dem Verstorbenen die gebührende Ehre zu erweisen. Falls für diese Kosten nicht genug Geld vorhanden ist, sind die Personen, die für den Verstorbenen unterhaltspflichtig sind, dafür verantwortlich.
- Die Schuld, die mit einer Pfändung verbunden ist, hat Vorrang. Wer etwas verpfändet hat und stirbt, ohne etwas anderes zu hinterlassen, hat seine Schulden vorrangig zu tilgen. Nach der schafiitischen Rechtsprechung wird die Begleichung dieser Schulden vor der Bestattung des Verstorbenen behandelt, da sie ein vorrangiges Recht darstellt.
- Die Schulden des Verstorbenen, sei es im Hinblick auf religiöse Verpflichtungen (wie Zakat, Gelübde, Bußzahlungen) oder gegenüber anderen (wie Darlehen oder Schulden), müssen nach der Bestätigung der Beerdigung und der Tilgung des Pfands erledigt werden, bevor das Erbe verteilt und die Willenserklärung des Verstorbenen umgesetzt wird. Dabei ist zu beachten, dass die Ansprüche Gottes vorrangig zu behandeln sind.
- Der letzte Wille, welcher von den Gelehrten als nach der Begleichung der Schulden des Verstorbenen zu erfüllendes Recht angesehen wird, muss vor der Erbverteilung berücksichtigt werden. Allah (der Erhabene) sagt: „Nach dem, was er vererbt hat, oder der Schuld, die er hinterlassen hat.“ Dies unterstreicht die Wichtigkeit, den Willen des Verstorbenen nicht zu vernachlässigen, da viele Erben fälschlicherweise annehmen, dieser würde ihnen das Erbe verwehren und als Spende angesehen werden, sodass sie ihn nicht erfüllen. Der Wille darf bis zu einem Drittel des noch verbleibenden Vermögens betragen.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung der Reihenfolge dieser Ansprüche: Wenn eine Person stirbt, die ein Haus als Pfand gegeben hat, Schulden bei jemandem hat und einen Geldbetrag an einen Freund vererben wollte, so wird zunächst das Geld für die Bestattung entnommen, dann die Schulden bei dem Pfandleiher beglichen, gefolgt von der Rückzahlung seiner Schulden, und zuletzt wird der Wille für den Freund umgesetzt. Das verbleibende Vermögen wird gemäß den gesetzlichen Erben verteilt.
Gründe für das Erbe
Es gibt vier Bedingungen, die einen Erbanspruch begründen, von denen drei unter den Gelehrten universell anerkannt werden, während über einen anderen Uneinigkeit besteht. Hier sind die Ursachen für das Erbe näher erläutert:
- Die Blutsverwandtschaft: Dies bezieht sich auf die unmittelbare Verwandtschaft zwischen dem Verstorbenen und den Erben durch Abstammung, einschließlich der Vorfahren, wie Eltern und Großeltern, sowie der Nachkommen, wie Kinder und Enkelkinder, zusammen mit Geschwistern und Onkeln. Das Erbrecht der Verwandten ist unbestritten, wie Allah (der Erhabene) sagt: „Die Blutsverwandten stehen in den Gesetzen Allahs einander näher.“
- Ehe und Schwägerschaft: Dieses Kriterium wird von allen Gelehrten anerkannt, da das Erbe für beide Ehepartner sofort mit der Gültigkeit des Ehevertrages eintritt, auch wenn einer von ihnen vor der Eheschließung stirbt. Der Ehemann erbt von seiner Frau und umgekehrt, wie es im Koran heißt: „Und euch gehört die Hälfte dessen, was eure Frauen hinterlassen.“
Im Falle eines ungültigen Ehevertrages, wie beispielsweise bei temporären Ehen, erben die Partner nicht voneinander. Eine geschiedene Frau erbt von ihrem Ex-Mann, während er, sofern die Scheidung widerruflich und während der Wartefrist ist, ebenfalls erbt, da die Ehe bis zur Beendigung noch besteht. Bei einer nicht widerruflichen Scheidung verfällt das Erbe, auch innerhalb der Wartefrist. In einigen Fällen scheiden Ehemänner ihre Frauen in der Annahme, bald zu sterben, um sie vom Erbe auszuschließen. Die Mehrheit der Gelehrten erkennt jedoch das Erbrecht der Frau an, da dies das schlechte Motiv des Ehemannes untergräbt.
- Die Freiheit: Dies bedeutet, dass eine Person, die früher einen Sklaven befreit hat, im Falle des Tods des Ehemaligen erbt, sofern dieser keine weiteren Erben hinterlässt. Das Erben aufgrund der Freiheit ist unter den Gelehrten umstritten, wobei dieser Ansicht hauptsächlich von den Hanafiten gefolgt wird.
- Der Islam: Hiermit ist gemeint, dass wenn eine Person stirbt und keine Erben hat, weder nahe Verwandte noch andere, ihr Vermögen in den Besitz der Gemeinschaft der Muslime fließen soll, um allgemeine Belange wie den Bau von Moscheen zu unterstützen, wie es in dem Hadith des Propheten (Frieden sei mit ihm) heißt: „Ich bin der Erbe dessen, der keinen Erben hat.“ Dem Prophet war es hierbei nicht um persönliches Eigentum, sondern um Nutzen für die Muslime gegangen.
Bedingungen für die Erbteilung
Das Erbe wird unter den Erben und dem Verstorbenen durch drei Bedingungen wirksam:
- Die Bestätigung des Todes des Erblassers, sei es durch die eigenen Augen gesehen oder durch die Aussage von zwei gerechten Zeugen, wobei auch ein Gerichtsurteil den Tod des Desaparecidos bestätigen kann.
- Die Bestätigung des Lebens des Erben zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Sollte das Leben des Erben zu diesem Zeitpunkt unklar sein, wie etwa bei einem Ertrunkenen oder Brandopfer, hat der Erbe kein Anrecht auf das Erbe, selbst wenn er im gewöhnlichen Sinne ein Erbe ist. Das ungeborene Kind wird jedoch als lebendig betrachtet und kann erben, wenn es lebendig geboren wird.
- Das Vorhandensein eines Grundes für das Erbe, d. h. die Sicherstellung, dass eine Blutsverwandtschaft, ein Schwägerschaftsverhältnis oder eine Pflicht zwischen dem Verstorbenen und dem Erben zum Zeitpunkt des Todes besteht, sowie die Klärung etwaiger Ausschlussgründe, die das Erbe verhindern könnten, die später im Artikel ausgeführt werden.
Verteilung des Erbes
Erbe der Eigentümer von Pflichtanteilen
Die Eigentümer von Pflichtanteilen sind die, denen das Recht per Gesetz ein bestimmtes Erbe garantiert. Es gibt insgesamt zwölf Personen, die als Eigentümer von Pflichtanteilen gelten, darunter vier Männer: der Vater, der Großvater, der Ehemann und der Halbbruder. Von den acht Frauen sind die Mutter, die Großmutter, die Ehefrau, die Tochter, die Enkelin, die Vollschwester, die Halbschwester und die Schwester mütterlicherseits. Im Folgenden ist aufgeführt, welcher Anteil laut Recht jedem von ihnen zusteht:
- Der Vater: Sein Anteil am Erbe beträgt ein Sechstel, falls der Verstorbene männliche Nachkommen hat, wie Söhne oder Enkel. Der Vater kann manchmal sowohl durch Anteile als auch durch Ausgleich mit erben, etwa wenn der Verstorbene nur Mädchen hinterlässt.
- Der Großvater: Er erbt ebenfalls ein Sechstel, falls der Verstorbene männliche Nachkommen hat und der Vater nicht vorhanden ist. Ist nur weibliche Nachkommenschaft vorhanden, erbt er teils Pflichteinteilungen und teils durch Abstammung.
- Die Mutter: Ihr Anteil am Erbe beträgt ein Sechstel, falls der Verstorbene Nachkommen oder Geschwister hat, und ein Drittel im Falle des Fehlens dieser.
- Die Großmutter: Sie erhält ein Sechstel, wenn die Mutter nicht mehr lebt.
- Der Ehemann: Er erbt die Hälfte des Vermögens, wenn keine Kinder vorhanden sind; bei Vorhandensein von Nachkommen erbt er ein Viertel.
- Die Ehefrau: Ihr Anteil beträgt ein Achtel, wenn Kinder vorhanden sind; und ein Viertel, falls keine vorhanden sind.
- Die Tochter: Wenn sie allein ist und keinen ersatzberechtigten Bruder hat, erhält sie die Hälfte des Erbes. Bei zwei oder mehr Töchtern ohne Brüder erhalten diese zwei Drittel. Hat die Tochter Brüder, erbt sie zusammen mit diesen.
- Die Enkelin: Sie erhält die Hälfte des Erbes, wenn sie ohne männliche Erben und ohne Schwester ist, bei mehreren Enkelinnen liegt der Anteil jeweils bei zwei Dritteln. Die Enkelin erbt zudem in dem Fall, dass männliche Geschwister vorhanden sind.
- Die leibliche Schwester: Sie erbt die Hälfte, wenn sie keine gleichgestellte Schwester oder ein männliches Familienmitglied hat. Sind mehrere Schwestern vorhanden, erben diese zwei Drittel. Sind Brüder vorhanden, erben sie inklusive den Geschwistern.
- Die Halbschwester: Sie erbt ein Sechstel, wenn keine gleichgestellten Schwestern oder Brüder anwesend sind, und bei Vorhandensein einer gleichgestellten Schwester erben beide zwei Drittel.
- Die Brüder und Schwestern mütterlicherseits: Erben ein Sechstel, falls sie allein sind, und zwei Drittel, wenn mehr als einer vorhanden ist, wobei sie keinen anderen Erben besitzen.
Erbe der nahen Verwandten
Die nahen Verwandten erben das verbleibende Vermögen und haben keinen festen Anteil, wie die Eigentümer von Pflichtanteilen. Sie erben das gesamte Vermögen, wenn sie allein sind. Es gibt zwei Typen: das Erbe durch Freiheit und das durch Verwandtschaft. Das heimische Erbe geschieht durch Verwandtschaft und sieht folgendes vor:
- Verwandte mit direktem Bezug: Dies sind männliche Verwandte, die keine weiblichen Angehörigen haben, also Söhne, Väter, Brüder und Onkel. Diese männlichen Angehörigen erben das gesamte Vermögen, so lange sie allein unter den Erben sind und keine Pflichtberechtigten vorhanden sind. Sind Pflichtberechtigte anwesend, erben sie das verbleibende Vermögen nach denen.
Wenn das Erbe bei der Verteilung an die Pflichtberechtigten zur Neige geht, sind die Erben mit direktem Bezug ausgeschlossen, außer der Vater, der Großvater und der Sohn. In der Reihenfolge der oben genannten, wird der Bruder dem Onkel vorangestellt, und der Vater kommt vor dem Großvater, aufgrund der direkteren Verwandtschaft.
- Erbe durch weibliche Angehörige: Hierbei erbt eine alleinstehende Frau die Hälfte und zwei Drittel, wenn mehrere Geschwister anwesend sind. Erbt jedoch eine männliche Person gleichzeitig, erbt sie gemeinsam mit ihm, sodass die weiblichen Erben mit den männlichen Verwandten über das verbleibende Vermögen nach Erfüllung der Pflichtanteile erhalten.
- Erbe mit fremder Hilfe: Hierbei handelt es sich um weibliche Angehörige, die den Erben benötigen, um selbst erben zu können, auch die Schwestern sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung, da sie durch Verwandtschaft mit anderen weiblichen Erben verbunden werden.
Erbe der entfernteren Verwandten
Als entferntere Verwandte gelten die Verwandten des Verstorbenen, die nicht durch Pflichtanteile oder Erben mit direkter Verwandtschaft erben, es sei denn, es gibt keine anderen Erben, wie Allah (der Erhabene) sagt: „Die Verwandten stehen sich näher im Buch Allahs.“ Es sei jedoch erwähnt, dass Imam Malik und Imam Schafi’i der Meinung sind, dass entferntere Verwandte nicht erben und dass das Vermögen von Personen ohne Erben an die Kasse der Muslime übertragen werden sollte. Die Reihenfolge der entfernteren Verwandtschaft ist wie folgt:
- Die Söhne und Enkel der Tochter.
- Die Töchter der Brüder und deren Kinder, da sie den Platz ihres Vaters einnehmen, sowie die Kinder der halbgeschwisterlichen Schwestern, die den Platz ihrer Mütter einnehmen.
- Die Onkel und Tanten, sowie die Großeltern von der Mütterseite.
- Die Tanten und Onkels von der Vaterseite.
- Die nicht rechtmäßigen Großmütter, gleichgültig von welchen Eltern, wobei die Großmutter von der Mutter priorisiert wird.
- Die nicht rechtmäßigen Großväter, wie die Mutter des Vaters oder der Vater der Großmutter.
Erbe des ungeborenen Kindes
Es gibt einige Erben, deren Zustand unklar ist, seien es männliche oder weibliche Nachkommen, welche die rechtlichen Konsequenzen betreffen. Hier sind die unterschiedlichen Situationen aufgelistet:
- Erbe des ungeborenen Kindes: Wenn der Erblasser stirbt, während die Witwe schwanger ist, hat das ungeborene Kind Anspruch auf das Erbe, sollte es lebendig zur Welt kommen. In diesem Fall können die Erben warten, bis das Kind geboren ist, um das Erbe nach der Verwandtschaft zu verteilen. Alternativ kann das Vermögen vor der Geburt aufgeteilt werden, wobei ein Anteil für das ungeborene Kind reserviert wird. Nach der Geburt wird das Erbe entsprechend verteilt, während die Großmutter und die Ehefrau anteilig behandelt werden.
- Erbe des Verschollenen: Wenn der Verwandte verschwunden ist und man nicht weiß, ob er verstorben ist oder nicht, wird ein Zeitraum von einem Gericht festgelegt. Sollte der Verstorbene Gelder hinterlassen, wird angenommen, dass er verstorben ist, und das Erbe wird unter den rechtmäßigen Erben verteilt. Sollte der Verschollene ein Erbe sein, werden seine Ansprüche teilweise bis zur Rückkehr oder dem Tod während der Wartezeit eingefroren.
- Erbe des Hermaphroditen: Bei Hermaphroditen bleibt unklar, ob sie männlich oder weiblich sind. Sie haben Anspruch auf die Hälfte des Erbes eines Mannes und die Hälfte des Erbes einer Frau. Bevor eine Entscheidung getroffen werden kann, warten die Erben, um den tatsächlichen Zustand zu bestimmen. Kommt es jedoch zu einer Verteilung im Vorfeld, so werden sie den geringeren Anteil erhalten, während der Anteil des Hermaphroditen bis zur Feststellung seiner Identität aufgeschoben wird.
- Erbe bei Katastrophensituationen: Bezieht sich auf die Fälle, in denen mehrere Erben durch ein Unglück gemeinsam sterben, z.B. beim Brand, Autounfall oder Ertrinken. In diesen Fällen wird geprüft, falls der Zeitpunkt oder die Reihenfolge des Todes bekannt ist. Der Überlebende erbt vom bereits verstorbenen Verwandten. Falls nicht eindeutig feststellbar ist, wer zuerst verstarb, erben die Betroffenen jedoch nicht von einander; stattdessen geht das Vermögen an die lebenden Erben.
Hindernisse des Erbes
Ein Erbschaftshindernis ist definiert als eine Bedingung, die dazu führt, dass das Erbe unterbunden wird; ihr Vorhandensein führt zur Erbschaftsverweigerung, während ihr Fehlen entscheiden kann, dass ein Ansprüche vererbt werden. Es gibt drei Hindernisse, wie folgt:
- Die Sklaverei: Ein Sklave ist an seinen Besitzer gebunden. Ein Sklave hat bei Testament und Erbschaft keine Ansprüche.
- Die Tötung: Sollte ein Erbe seinen Erblasser vorsätzlich oder fahrlässig töten, sei es durch einen direkten Angriff oder durch Mitverantwortung, hat er keinen Anspruch auf das Vermögen, da dies zu einem vorzeitigen Tod führt. Dies soll die betreffende Person davon abhalten, den anderen durch Mord als Mittel zur Erlangung des Erbes zu nutzen. Selbst ein unbeabsichtigter Vorfall, ohne böswillige Absicht, wie die Verabreichung fälschlicherweise eines Arzneimittels, führt jedoch nicht zu einem Erbschaftsverlust.
- Religionskonflikt: Erben unterschiedlicher Glaubensrichtungen – beispielsweise ein Muslim und ein Nicht-Muslim – erben nicht voneinander, was auch für unterschiedliche Glaubensgemeinschaften gilt. Ein Jude erbt nicht vom Christen und umgekehrt. Die Erbschaftshindernisse aufgrund verschiedener Glaubensrichtungen werden jedoch nicht bei der Erbschaft des Verwandten berücksichtigt, wenn dieser nicht Muslim ist. Bei Annahme des Islam vor der Erbschaft wird jedoch berücksichtigt, um den neuen Gläubigen nicht auszugrenzen. Ein Heuchler hingegen erbt, da diese Sichtweise sich auf das äußere Verhalten stützt, sofern ihr Geheimes nicht bekannt oder eindeutig ist. Im Fall einer Abkehr vom Glauben wird das Vermögen an die muslimischen Erben weitergegeben.